AC Reggiana – Vicenza Calcio 1:0

Italien, Serie C – Girone A (3. Liga)
Montag, 9. Oktober 2017, 18.30 Uhr
Reggio nell'Emilia, Stadio Giglio

Ehe Obermais am Mittwoch sein Heimspiel gegen Sankt Georgen austrägt, bleiben noch zwei volle Tage, die man eigentlich wunderbar – wie so viele Deutsche zu wirklich allen Jahreszeiten – in der Touristen-Stadt Merano verbringen könnte. Aber natürlich passiert das nicht und die Zeit wird für den Besuch des Montagsspiels der Serie C genutzt. Reggio (170.000 Einwohner) besitzt nicht nur eine traumhafte Altstadt, sondern ist vor allem bekannt dafür, dass hier 1797 die Gestaltung der italienischen Nationalflagge festgelegt wurde. Man entschied sich für die rot-weiß-grüne Tricolore, weshalb Reggio den Beinamen „Città del Tricolore“ (Stadt der Tricolore) trägt. Das Original von 1797 ist übrigens im Rathaus von Reggio ausgestellt. Wer hingegen mit dem Zug in der Stadt ankommt, dem werden zuerst die Flutlichtmasten unweit des Bahnhofs auffallen. Es handelt sich dabei aber nicht um das Stadio Giglio, sondern um das Stadio Mirabello, in dem die Reggiana bis 1995 gespielt hat. 1993 stieg sie in die Serie A auf, für die das Stadio Mirabello aber nicht tauglich war. Durch die zentrale Lage mitten in der Stadt war es nicht ausbaubar, so dass am Stadtrand das Stadio Giglio gebaut wurde. Bis 1999 war die Reggiana (unter anderem unter Trainer Carlo Ancelotti) ein Fahrstuhlverein zwischen Serie A und Serie B, stieg dann aber in die Serie C ab und kehrte bislang nie wieder in die beiden Oberhäuser zurück. Dass im Stadio Giglio aktuell dennoch Serie A geboten wird, liegt am Dorfverein Sassuolo, der das Stadion seit seinem Serie-A-Aufstieg 2013 nutzt. Einher ging damit eine ziemlich unsympathische Modernisierung und (in Italien noch sehr untypisch) der Verkauf der Namensrechte an einen Sponsor. Die Reggiana ist seither quasi Mieter im eigenen Stadion. Umso besser, hier ein Heimspiel von ihr und nicht von Sassuolo zu sehen. Der Gegner ist heute ein ganz besonderer, denn die Ultras von Reggiana und Vicenza verbindet eine der innigsten Freundschaften Italiens. Entsprechend sind rund ums Stadion keine zehn Polizisten anzutreffen, Heim- und Gästefans sind bunt durchmischt, eine komplett entspannte Atmosphäre. Als Fremder kann man sogar mitten durch den Mob der Hauptgruppe Teste Quadre („Quadratschädel“) laufen, die vor ihrer Curva herumlungern. Allerdings wird das bei anderen Spielen auch nicht so das Riesenproblem sein, denn in Sachen Gastfreundschaft ticken die Uhren in Italien freilich ganz anders als in Poser-Deutschland. Beim Blick auf die Tribünen im Stadion vergeht die gute Laune dann aber ganz schnell. Zum einen haben sich gerade einmal 5618 Zuschauer eingefunden, zum anderen hängen weder auf Heim- noch auf Gästeseite Zaunfahnen. Es herrscht eine Totenstille, man kann die Leute auf den anderen Tribünen husten hören. Einzig bei der Gruppo Vandelli, die sich von der Curva abgespalten hat und auf der Distinti steht, hängt ein Protestspruchband gegen die völlig inakzeptable Anstoßzeit: „Scusate se lavoriamo“ („Entschuldigung, dass wir arbeiten“) – wohl kaum jemand versteht es besser als die Italiener, solche Dinge mit der genau richtigen Portion Sarkasmus auf den Punkt zu bringen. Nach zehn Minuten hat das traurige Schauspiel aber ein Ende und gleichzeitig werden sowohl im Gästeblock als auch in der Curva und auf der Distinti die Zaunfahnen gehisst und die ersten Gesänge angestimmt. Das wundert nicht: Zuerst wird gemeinsam gegen den Ligaverband gepöbelt („lega lega vaffanculo“), dann der jeweils anderen Szene gehuldigt und erst mit dem dritten Lied der eigene Verein besungen. Man merkt sehr schnell, dass hier viel (fast eine Spur zu viel) Liebe drin ist, was im Zeigen mehrerer Spruchbänder gipfelt, mit denen man sich gegenseitig Honig um den Bart schmiert. Höhepunkt ist das Spruchband der Gästefans: „Reggiana–Vicenza: unica gioia“ („eine einzige Freude“) – blumiger kann man sich fast gar nicht seine Liebe gestehen. Abgesehen davon wird hier aber natürlich auch dem eigenen Verein gehuldigt und das auf ziemlich beeindruckende Art. Es ist ganz schön Feuer in der Bude, obwohl die Masse fehlt. Macht Spaß! Auch in der Liebesbeziehung zwischen der Reggiana und Vicenza wird es nach Abpfiff noch einmal gehässig, denn zum Verabschieden widmet jeder noch einen Pöbel-Gesang dem Erzrivalen des anderen. Der Reggiana-Anhang singt also gegen Hellas Verona, was der Gästeblock umgehend mit „Spal Spal vaffanculo“-Gefluche honoriert. Ein abschließendes Wort noch zur Stadt, die wie gesagt optisch begeistert, in der aber ebenso der Fußball und die Curva in jeder Ecke richtig gelebt werden. Bestes Beispiel ist eine relativ noble Pizzeria in der Altstadt, auf deren Speisekarte unter anderem die „Pizza Granata Ultras“ steht.